„100 Leute haben wir gefragt: Nennen Sie ein Land, in dem Olivenbäume wachsen!“ So oder so ähnlich begann in den 1990er-Jahren der Quizmaster Werner Schulze-Erdel viele Spielrunden im beliebten „Familienduell“ im Privatfernsehen. Die Rateteams, zwei gegeneinander antretende Familien, mussten schnell schätzen, welche Antworten zuvor befragte Personen wohl am häufigsten auf eine Frage gegeben haben könnten. Wenn Sie mit ihrer Schätzung richtig lagen, konnten sie Punkte sammeln. Klar, mit der schon legendären Antwort „Bolivien“ auf die oben genannte Frage hatte die Mitspielerin nicht ganz die Top-Antwort der zuvor befragten Personen getroffen. Aber meist klappte es ganz gut: Durch gesunden Menschenverstand und etwas Mut gelang es den Teams meist, einige der von den 100 Befragten gegebenen Antworten zu benennen.
Die Show spielte mit einem Phänomen, dem wir in der empirischen Sozialforschung regelmäßig begegnen. Wir wollen wissen, wie ein bestimmter Sachverhalt von anderen Personen bewertet wird. Befragungen, ganz gleich, ob sie schriftlich, telefonisch, persönlich oder online durchgeführt werden, sollen helfen, das herauszufinden. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Im Gegensatz zu Werner Schulze-Erdel und seinem Team interessieren wir uns eben nicht für relativ belanglose und wahllos ausgewählte Dinge, wie Länder mit Olivenplantagen, besonders farbenprächtige Tiere („Zebra!“) oder deutsche Städte mit „C“ („Zwickau!“). In der Wohnungswirtschaft wollen wir wissen, wie die Kundinnen und Kunden eine relativ komplexe und vielschichtige Leistung, die sie in Anspruch nehmen, bewerten; uns interessiert, welche Veränderungswünsche sie haben, ob sie etwas für solche Verbesserungen zahlen würden (und wieviel) oder wie loyal die Kund/innen dem Wohnungsunternehmen gegenüber eingestellt sind. Außerdem wollen wir wissen, was Kunden besonders wichtig oder weniger entscheidend ist, ob sie fortziehen wollen (und warum) oder welchen Lebensstilgruppen wir sie zuordnen können. Schließlich wollen wir das nicht von „irgendwelchen“ 100 Leuten wissen, sondern von Mieterinnen und Mietern (oder eben gerade Nicht-Mieter/innen) und streben hier auch noch eine repräsentative Verteilung der Befragten bezogen auf Raum und Gesellschaft an.
Man kann unschwer erkennen: Ganz so einfach wie eine Spielshow kann eine solche Befragung nicht ablaufen. Umso ärgerlicher ist es, dass es nach wie vor sowohl aufseiten der Unternehmen, die entsprechende Befragungen beauftragen, wie – leider – auch aufseiten derer, die sie umsetzen, teils sehr ungewöhnliche Auffassungen zur Leistungsfähigkeit und Qualität entsprechender Befragungsstudien gibt. Kurz gesagt: Meinungsstudien, Umfragen oder auch Mieterbefragungen, wie immer sie auch heißen, wirken oft so, als hätte das Familienduell-Team sich frei nach dem Motto „100 Leute haben wir befragt …“ mal in der Mieterschaft umgehört. Aus den Ergebnissen werden dann – teils sehr hübsche – Balken- und Kuchendiagramme erzeugt und diese in eine schöne Präsentation gepackt. Schnell ein paar deskriptive Kommentare und Allerwelts-Schlussfolgerungen darunter („Das Wohnumfeld ist wichtig!“) und die Studie ist auch schon fertig.
Aber was können Kundenzufriedenheitsstudien wirklich leisten? Wie müssen sie dafür aufgebaut sein? Welche Prüfkriterien kann man anlegen, um eine gute Methodik zu erkennen? Dazu gibt es hier einige Hinweise:
Fragebogen: Die Möglichkeiten, die eine Kundenzufriedenheitsstudie eröffnen, stehen und fallen mit der Qualität des Fragebogens. Dabei spielt einerseits der Umfang des Fragebogens eine gewisse Rolle: Was man nicht fragt, kann man auch nicht auswerten. Aber längst gilt nicht der Grundsatz „langer Fragebogen = guter Fragebogen“. Es kommt auch auf die Art der Fragen an. Beispielsweise sind offene Fragen, auch wenn sie vermeintlich schwierig auszuwerten sind, wichtig, um Zukunftsthemen zu erkennen, die man bei der Konzeption der Befragung gar nicht auf der Agenda hatte. Die Auswertung lässt sich mithilfe spezialisierter Software durchaus leisten. Wichtig ist auch, dass ein Fragebogen flexibel aufgebaut ist (also z.B. bestimmte Themenbereiche „zugeschaltet“ werden können). Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Standardisierung hilfreich, um Benchmarks z.B. mit anderen Unternehmen umsetzen zu können.
Repräsentativität: Natürlich sollen die Ergebnisse der Befragung bestenfalls nicht nur einen Trend oder eine Indikation wiedergeben, sondern tatsächlich belastbare Erkenntnisse liefern. Dabei entsteht häufig eine gewisse Scheu vor zu hohen Kosten wegen der befürchteten großen Zahl an notwendigen Interviews. Das ist meist unbegründet. Besonders bei telefonischen Befragungen ist eine sehr kleinteilige Steuerung des Befragungsprozesses möglich. Das heißt: während des Prozesses kann durch eine Konzentration z.B. auf bestimmte Zielgruppensegmente oder Regionen erreicht werden, dass die tatsächliche Altersstruktur der Mieter/innen oder deren regionale Verteilung tatsächlich repräsentativ abgebildet wird. Schriftliche Befragungen sind diesbezüglich komplexer, doch auch hier lassen sich bei einer seriösen Ansprache der Mieter/innen hohe Rücklaufquoten von deutlich über 20 Prozent und damit eine hohe Aussagekraft der Ergebnisse erreichen. Auftraggeber sollten sich genau darüber informieren, wie die Stichprobenziehung im Falle der telefonischen Erhebung umgesetzt wird oder wie Rücklaufkontrolle und ggf. erforderliche Nachfassaktionen bei schriftlichen Befragungen umgesetzt werden. Auch die Kombination verschiedener Erhebungsmethoden ist möglich.
Nachvollziehbare Bewertungsskalen: An der Frage, ob Bewertungen beispielsweise nach Schulnoten oder in einer Vierer- oder Fünferskala erfolgen sollen, können Auftraggeber auch die Qualität von Befragungen erkennen. Das ist nicht trivial, sondern essenzieller Bestandteil einer guten Befragung. Immer wieder hört man z.B.: „Wenn die Befragten die Möglichkeit zu einer neutralen Antwort haben, kreuzen das alle an!“ Als Auftraggeber einer Studie können Sie sicher sein: Das trifft so nicht zu. Im Gegenteil, eine Bewertungsskala, die auch neutrale Bewertungen erlaubt (etwa eine Fünferskala), bildet die Realität viel besser ab. Stellen Sie sich den sprichwörtlichen „Sack Reis in China“ vor. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass man bei einer Kundenzufriedenheitsanalyse auch Dinge abfragt, die einzelne Kunden gar nicht interessieren oder in der Form betreffen, dass Ihnen daraus besondere Vor- oder Nachteile erwachsen. Was, wenn diese überhaupt nicht die Möglichkeit haben, sich dazu neutral zu verhalten? Sie müssten zwangsläufig eine kritische oder auch lobende Bewertung abgeben, was das Ergebnis verfälschen würde. Ebenso wird das Ergebnis ungenau, wenn etwa auf einer Viererskala drei (eher) positive und nur eine (extrem) negative Bewertungsmöglichkeit besteht. Die Statistiker sprechen in diesem Zusammenhang von dem Skalenniveau. Es geht darum, den Befragten eine Möglichkeit zu bieten, bestenfalls kardinal skaliert zu antworten, d.h. es besteht eine eindeutige Reihenfolge und die Abstände zwischen den Antwortmöglichkeiten sind bestenfalls gleich (Intervallskala).
Aussagetiefe: Normative und analytische statt nur deskriptive Ergebnisse helfen Ihnen als Auftraggeber einer Umfrage weiter. Sie wollen also nicht nur wissen, was Mieter „gut“ oder „schlecht“ finden, sondern was genau wirklich wichtig ist, um sie z.B. in der Wohnung, im Quartier oder im Unternehmen zu halten. Die Ableitung von Bindungstreibern und realistischen Potenzialen durch die Verbindung von Fragen z.B. zur Zufriedenheit mit bestimmten Merkmalen, zum Interesse daran sowie zur Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit helfen hier weiter. Im Ergebnis wissen Sie nicht nur, dass „die Mehrheit der Mieter gerne ein neues Bad hätte“, sondern genau bei welchen Mietern das tatsächlich notwendig ist, damit sie oder er nicht in den nächsten drei Monaten auszieht, welche hingegen vielleicht perspektivisch darauf setzen und wo ein solches Bad vielleicht gewünscht wird, aber die Kosten dafür nicht aufgebracht werden können.
Analyse der Mieterstruktur unter Zuhilfenahme milieuspezifischer Komponenten: Die Gründe für bestimmte Bewertungen lassen sich nicht immer eindeutig z.B. aus der Qualität des Bestands ableiten. So kann es sein, dass in bestimmten Quartieren etwa der Zustand der Treppenhäuser o.Ä. besonders bemängelt wird, während dies anderswo auf weniger Kritik stößt, obwohl die Treppenhäuser dort im direkten Vergleich bei einer Besichtigung deutlich schlechter abschneiden würden. Das Wissen um die Lebensstile und Wohnwünsche der Mieterinnen und Mieter hilft hier.
Kleinräumigkeit und Vergleichbarkeit: Achten Sie darauf, dass die Befragung und die Stichprobengröße Auswertungen auf der gewünschten räumlichen Ebene erlauben. Zwar lassen sich auch mithilfe von Big-Data-Projektionen bestimmte Erkenntnisse auf kleinräumige Ebenen herunterrechnen, allerdings ist die Fehlerquote bei einer entsprechend angelegten repräsentativen Befragung weitaus geringer. Ebenso sollten wesentliche Kennziffern als Indizes dargestellt werden, um so auch Zeitreihen- und regionale Vergleiche möglich zu machen – z.B. mit Zufriedenheitsindizes, auch in sachlichen Teilbereichen, Kundenbindungsindizes o.Ä.
Qualität in der Durchführung: Häufig ist es notwendig, dass die tatsächliche Durchführung von Befragungen an andere Unternehmen ausgelagert wird. Das ist grundsätzlich auch möglich, allerdings sollte dann darauf geachtet werden, dass auch dort nach einheitlichen wissenschaftlichen Standards gearbeitet wird, dass regelmäßige Schulungen und Kontrollen der Interviewer möglich sind und ggf. eine entsprechende Fremdsprachigkeit der Interviewer gewährleistet werden kann.
Wenn diese Grundsätze beachtet werden, können Kundenzufriedenheitsanalysen weit mehr, als nur die aktuelle Stimmung abbilden. Sie liefern wichtige Erkenntnisse zu akuten oder zukünftigen Handlungsbedarfen, sie zeigen Möglichkeiten der Weiterentwicklung von Quartieren oder Dienstleistungsportfolios auf und erlauben es, direkt in die Optimierung von Prozessen z.B. im Bereich des Service von Wohnungsunternehmen einzusteigen. Bei InWIS z.B. wurden in den letzten etwa zehn Jahren Kundenzufriedenheitsbefragungen mit einem Volumen von mehr als 250.000 Interviews/Antworten durchgeführt. Bei Wiederholungsbefragungen, die viele Unternehmen regelmäßig umsetzen, kam es praktisch in allen Fällen zu messbaren Verbesserungen der Kundenzufriedenheit und der Kundenbindung, sofern die aus den vorausgegangenen Befragungen ermittelten Handlungsbedarfe abgearbeitet wurden. Das heißt, die Befragungen sind dazu geeignet, den Erfolg umgesetzter Maßnahmen zu belegen oder auch Nachsteuerungspotenziale aufzuzeigen. Ebenso nutzen viele Unternehmen die Erkenntnisse aus ihren Befragungsstudien, um den durch den demografischen Wandel angeregten Wechsel in den Mieterstrukturen nicht nur zu erkennen, sondern zu analysieren und – über abgeleitete Maßnahmen – zu steuern. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse solcher Studien bei führenden Anbietern direkt in webbasierte Datenbanksysteme integriert werden können. Damit werden die Ergebnisse für das Unternehmen selbst schnell sichtbar und für eigene Prozesse nutzbar.
Im Ergebnis wüsste man also nicht nur, welche Top-Antworten die Befragten auf die gestellten Fragen geben, wie beim Familienduell. Man wüsste eben auch, welche Bedeutung die Befragten etwa dem Olivenanbau beimessen oder ob sie ohnehin lieber auf Rapsöl oder Nussöle zurückgreifen. Ebenfalls wäre denkbar, abzuleiten, ob und wenn für welche Zuzahlung bolivianisches Olivenöl akzeptiert würde oder nicht. Vielleicht würde man auch einfach nur erfahren, ob die Kandidatin überhaupt weiß, wo Bolivien eigentlich liegt.
Der Autor
Torsten Bölting
Prof. Dr. rer. pol., Dipl.-Ing. Raumplanung, Stadtplaner AKNW
EBZ Business School (FH)
Professur für Sozialwissenschaften, insbesondere Wohn- und Raumsoziologie
E-Mail: t.boelting@ebz-bs.de
Das InWIS Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung
Das am EBZ – Europäisches Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Bochum angesiedelte Forschungs- und Beratungsinstitut InWIS unterstützt auf Basis von Analysen Wohnungsunternehmen, Projektentwickler, Bauträger sowie Ministerien, Kommunen und Kreise bei deren Planungen und Entscheidungen. Die Erkenntnisse aus der Forschung fließen direkt in die Lehre und die Bildungsangebote am EBZ ein.
Das InWIS wurde 1994 als An-Institut an der Ruhr-Universität Bochum gegründet. Heute bestehen zwei Schwester-Unternehmen unter dem Dach des EBZ: die gemeinnützige InWIS GmbH (An-Institut an der EBZ Business School und der Ruhr-Universität Bochum) und die InWIS Forschung & Beratung GmbH. Gemeinsam stehen beide für Kompetenz und Erfahrung rund um Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Kommunal- und Politikberatung im Zusammenhang mit den Themenfeldern Wohnen und Immobilien.