Wiener Modell
Studie zeigt: Wiener Mietsystem taugt nicht als Modell für Deutschland


Eine kürzlich erschienene wohnungspolitische Analyse des Instituts empirica, das die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) in Auftrag gegeben hat, belegt eindrucksvoll, dass das oft geradezu euphorisch beschriebene „Wiener Modell“ für den deutschen Wohnungsmarkt kein geeignetes Vorbild ist. Laut Studie sind mit dem Modell hohe Kosten, eine große Streitanfälligkeit und Intransparenz verbunden sind.

Wien © EM80 / Pixabay
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Die wahre Lage der Wiener: Mieter in Wien müssen im Vergleich zu deutschen Mietern deutlich höhere zusätzliche Zahlungen zur Miete leisten. Die Neuvertragsmieten für zwei Wohnungen identischer Qualität und Lage können völlig unterschiedlich sein, die Bestandsmieten erst recht. Unter dem Begriff „durchschnittliche Neuvertragsmiete“ verbergen sich beispielsweise völlig unterschiedliche Messkonzepte. Die wohnungspolitischen Ausgaben in Wien sind deutlich höher als in deutschen Metropolen und konzentrieren die Mittel auf die Objektförderung. So gibt die Stadt Wien pro Einwohner etwas mehr als doppelt so viel für die Neubauförderung aus als Berlin. Die Subjektförderung ist hingegen ausgesprochen niedrig, was einkommensschwache Familien benachteiligt.

Das Fazit der Analyse: Das „Wiener Modell“ sei teuer, unsicher, streitanfällig, bürokratisch, intransparent und ungerecht gerade aus Sicht sozial schwacher Mieter, ohne dass die Wohnkosten in Wien niedriger wären als in deutschen Metropolen.

„Das Wiener Mietsystem ist allein schon angesichts seiner Komplexität nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar", erklärte GdW-Präsident und BID-Vorsitzender Axel Gedaschko. „Das zeigt einmal mehr: Statt einfacher Antworten, wie der Nachahmung eines vermeintlichen Erfolgsmodells, brauchen wir für die deutschen Wohnungsmärkte eine eigene, fein abgestimmte wohnungspolitische Strategie. Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hat effektive Maßnahmen eingefordert, aber an der Umsetzung hapert es. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen dringend gemeinsam ran“, so Gedaschko. „Ein ganz wichtiger Punkt ist hier eine aktive Bodenpolitik. Da können deutsche Kommunen tatsächlich viel von Wien lernen, wie die Studie zeigt.“

Ergebnisse der Studie
Wiener Bodenpolitik als Vorbild
Die Stadt Wien betreibt eine sehr viel aktivere Bodenvorratspolitik als deutsche Städte. Der Bodenfonds verfügte zum Jahresende 2018 über einen Flächenvorrat, der für zehn Jahre ausreicht, obwohl der größere Teil des gesamten Geschosswohnungsneubaus auf Flächen des Bodenfonds realisiert wird. Größere Wohnungsbauprojekte können praktisch ausschließlich auf Flächen des Bodenfonds entstehen. Der Bodenfonds der Stadt Wien veräußert Wohnbauland zu Preisen von nur 240 bis 300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, was höchstens ein Viertel der Baulandpreise in deutschen Metropolen ist. Dies gibt der Stadt Wien über den Bodenfonds die Möglichkeit, über Bauträgerwettbewerbe entscheidenden Einfluss auf die Art der Bebauung und in Kombination mit der Neubauförderung auf die Höhe der zukünftigen Mieten und Kaufpreise zu nehmen.

Komplexes System: Vier völlig unterschiedliche Teilmärkte
Ansonsten stellt sich der Wiener Wohnungsmarkt allerdings als extrem komplex und teilweise unüberschaubar dar – auch für die eigenen Mieter. Der Wohnungsmarkt in Wien besteht aus (mindestens) vier Teilmärkten. Jeder der Teilmärkte unterliegt einem anderen Mietrechtsregime, wobei die rechtlichen Unterschiede als auch die Marktergebnisse zwischen den Teilmärkten sehr groß sind. „Die“ Wiener Wohnungspolitik gibt es daher nicht.

  • Im Teilmarkt der privaten Altbauten, die rund 34 Prozent des Mietwohnungsbestandes ausmachen, sind Wiener Mieter in der Praxis schlechter gestellt als in den deutschen Metropolen. Trotz einer vergleichbaren Bruttokaltmiete von 9,20 Euro pro Quadratmeter müssen Mieter weit höhere Investitionspflichten übernehmen und vor allem ist ihr Mietverhältnis höchst unsicher. Außerdem ist das hochkomplexe System sehr streitanfällig.

  • Am Beispiel der Gemeindewohnungen des großen kommunalen Wohnungsunternehmens "Wiener Wohnen", das etwa 31 Prozent des Mietwohnungsbestandes, ausmacht, zeigt sich, dass es je nach politischer Praxis – und angesichts einer Bruttokaltmiete von nur 6,80 Euro pro Quadratmeter – schwierig sein kann, kommunale Wohnungsbestände nachhaltig wirtschaftlich zu führen.

  • Rund 26 Prozent des Mietwohnungsbestandes in Wien sind geförderte Wohnungen. Dieses Modell ist mit den Zielen des deutschen sozialen Wohnungsbaus nicht vereinbar. Mietinteressenten müssen zusätzlich zur durchschnittlichen Neuvertrags-Bruttokaltmiete von 8,60 Euro pro Quadratmeter einen Beitrag zur Finanzierung leisten, haben einen gesetzlichen Anspruch auf den Erwerb der geförderten Wohnung und es gelten sehr hohe Einkommensobergrenzen – über ein Drittel der geförderten Haushalte gehören dem oberen Einkommensquartil an. Vergleichbar mit dem sozialen Wohnungsbau in Deutschland ist eine spezielle Unterart des geförderten Wohnungsbaus in Wien, die 2012 eingeführten Smart‐Wohnungen. Diese könnten im Vergleich zu deutschen Sozialwohnungen vor allem aufgrund ihrer kostengünstigen Bauart ein interessantes Architekturmodell für Deutschland sein.

  • Rund zehn Prozent des Mietwohnungsbestandes macht der private, frei finanzierte Mietwohnungsbau aus, der in Bezug auf die Regulierung fast mit dem allgemeinen Wohnungsmarkt in Deutschland ohne Mietpreisbremse vergleichbar ist –allerdings mit der Möglichkeit sachgrundloser Befristungen des Mietvertrages. Die Mieter sind bei einem Neuvertragsmietniveau von 13,60 Euro pro Quadratmeter etwas schlechter gestellt als in deutschen Metropolen, da bei vergleichbarem Mietniveau die Sicherheit des Mietverhältnisses aufgrund der möglichen Befristung niedriger ist.

Wien ist nicht „Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens“
Folgende Gründe haben dazu beigetragen, dass in der deutschen Diskussion der Eindruck entstanden ist, Wien wäre die „Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens“:

  • unterschiedliche Datenbasis: „Neuvertragsmiete“ wird in Deutschland nur aus aktuellen Angeboten öffentlich annoncierter Wohnungen gewonnen. In Wien ergibt sich die „Neuvertragsmiete“ aus allen neu abgeschlossenen Mietverträgen der letzten vier Jahre und ist daher eher mit der deutschen Mietspiegelmiete vergleichbar, die auch in Deutschland deutlich unter den deutschen „Neuvertragsmieten“ liegt.

  • zu simpler Vergleich der Nettokaltmieten: Da in Wien sämtliche Betriebskosten als Folge des Kostenmietprinzips auf die Mieter umgelegt werden können, fallen sie deutlich höher aus als in Deutschland. Zudem unterliegen Mieten einer ermäßigten Umsatzsteuerpflicht von zehn Prozent. Für einen sachgemäßen Vergleich müssen daher Bruttokaltmieten vergleichen werden.

  • wichtige Mietkonditionen bleiben oft unberücksichtigt: Die Sicherheit des Mietverhältnisses sowie die Regeln für Instandhaltung und Modernisierung bleiben beim einfachen Vergleich der Systeme oft außen vor. Diese sind in Wien aber viel oder sehr viel mieterunfreundlicher.

  • pauschalisierender Verweis auf sehr positive Einzelbeispiele: Tatsächlich existieren in Wien Mieterhaushalte, die zu traumhaften Konditionen in tollen Wohnungen wohnen. Aber – da die Brutto-Durchschnittsmieten in Wien und deutschen Großstädten vergleichbar hoch sind – existieren in Wien eben auch genauso viele Mieterhaushalte die zu alptraumhaften Konditionen in abgewohnten Wohnungen wohnen.

  • Wiener Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik extrem intransparent: Selbst rudimentäre Daten fehlen an vielen Stellen oder werden nicht publiziert. Zudem wandelt sich die Wohnungspolitik beständig, mit zahlreichen Detailreformen in den nebeneinander existierenden Wiener Mietrechtssystemen. Die Wohnungspolitik in der Stadt Wien kann daher nicht evidenzbasiert sein.

  • viel Eigenwerbung: Das Wohnungsunternehmen der Stadt Wien ist mit seiner Marketingabteilung international sehr aktiv, zum Beispiel mit Wanderausstellungen zum vermeintlich so sozialen Wiener Wohnungsmarkt. In Wahrheit folgen die Wiener Mieten aber einem Kostenprinzip, so dass sämtliche mit der Wohnungsvermietung verbundenen Kosten auf die Mieter überwälzt werden können.
Die BID-Studie "Wohnungsmarkt Wien - Eine wohnungspolitische Analyse aus deutscher Sicht"

GdW

Kontakt:
Andreas Schichel
Pressesprecher

GdW Bundesverband deutscher Wohnungs-
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